Vom Motocross-Bike aufs Mountainbike: Der Pirelli Scorpion im Test

Die richtige Reifenwahl ist im Radsport eines der Themen um das regelmäßig halbe Religionen gesponnen werden. Pirelli möchte sich nun in diese Diskusion einmischen. Ob der neue Pirelli Scorpion eine ersthafte Alternative zu den alteingesessenen Größen ist, hat Daniel in diesem Beitrag getestet.

Dem Rennradreifen P-Zero (hier gehts zum Testbericht) kommt Pirelli nun auch mit einer Linie für das MTB-Segment. Die vier verschiedenen Profile hören auf den Namen „Scorpion“, was eine Verwandtschaft zur bereits seit Jahren äußerst erfolgreichen Motocross-Linie (65 Weltmeistertitel!) nahe legt. So ganz aus dem Nichts kommt die Neuentwicklung also sicher nicht.

Die Reifenvarianten im Detail

Kernmerkmal der Scorpion-Linie ist wieder der schon beim P-Zero vorgestellte Smartgrip Compound, allerdings in einer auf den Einsatzbereich zugeschnittenen Mischung. Dieser Compound besticht durch eine sehr dichte Packung der Gummi-Teilchen, was gleich mehrere Vorteile hat:

  • Spitze Gegenstände haben es schwerer, in den Gummi einzudringen und so einen Platten zu verursachen
  • Es liegt bei gleicher Oberfläche natürlich mehr Gummi auf. Das führt zu gutem Grip bei geringerem Verschleiß.
  • Bei nassen wie trockenen Bedingungen gleichermaßen gute Funktion, unabhängig vom Profil

Die vier Profile der Scorpion-Reihe wurden nach dem Untergrund, für den sie designt wurden, benannt, nicht nach dem Einsatzbereich. So kommt der „H“ (= hard terrain) mit einem niedrigen, besonders in der Mitte sehr eng stehenden Profil. Der „M“ (= mixed terrain) bietet mehr Freiraum zwischen den Stollen und und etwas längere Stollen. Beim „S“ (= soft terrain) steigert sich der Freiraum weiter.

Alle Reifenvarianten des Scorpions im Überblick

Zu diesen drei Profilen kommt noch ein „R“ genannter Reifen, der als Spezialist für das  Hinterrad (= rear specific) mit einer spezieller Block-Anordnung Anordnung für guten Vortrieb und Bremstraktion aufgebaut ist. Die Stollenlänge in der Mitte ist dabei eher niedrig gehalten, um ein gutes Abrollen zu ermöglichen. Dieser Reifen eignet sich gut in Kombination mit dem M oder auch dem S am Vorderrad. Die bei allen Profilen in die Karkasse abgestützten Seitenstollen machen den Reifen besonders interessant: Das führt meiner Erfahrung nach zu einem breiteren, gut kontrollierbarem Grenzbereich, weil die Stollen nicht umknicken. Zwar rutschen solche Reifen (bereits bekannt von Maxxis, Specialized und einigen Contis) gefühlt etwas früher, dem gegenüber stehen jedoch Reifen, die später abrupt rutschen. Ist sicher Geschmackssache…

Der Reifen ist derzeit ausschließlich als 29“-Variante in 2,2er und 2,4er Breite im Angebot. Weiterhin gibt es zwei Karkassentypen: Die Standard-Karkasse ist auf Robustheit ausgelegt und kann mit besonders wenig Druck gefahren werden – selbstverständlich auch tubeless. Für meinen Einsatzbereich auf dem CC-Rad erscheint sie mir jedoch leider etwas zu robust. Auch das Gewicht lässt hier an eine Verwandtschaft zu den MX-Reifen glauben: Fast 800g sind für CC-Reifen leider einfach zu schwer. Wem es aber weniger um Gewicht, sondern vor allem um das Fahrverhalten und Robustheit für einen Alpencross oder raues Gelände geht, der ist hier sicher richtig.

Für die CC-Fraktion wird jedoch eine Lite-Karkasse angeboten: Diese 120 tpi-Karkasse soll den Reifen noch weicher und schneller abrollen lassen und richtet sich an leichte Fahrer mit besonders präzisem Fahrstil. Daher ist dies die Karkasse meiner Wahl, zumal sie gut 100 g an Gewicht pro Reifen spart.

Reifenwahl und Montage

Für meinen ersten Test im heimischen Revier habe ich den „M lite“ für das Vorderrad und den „H lite“ für das Hinterrad gewählt. Ich fahre gern eine Kombination, bei der vorn mehr Profil das Rad führt mit einem leicht rollenden Hinterreifen, denn der Rollwiderstand einer Gesamtkombination wird zum größten Teil über das Hinterrad bestimmt und bergab zählt in erster Linie ein Vorderreifen, der sicher die Spur hält.  Beide Reifen habe ich in Größe 29×2,2 gewählt – für ein CC-Fully mit 100 mm Federweg vollkommen ausreichend.

Das Gewicht der Reifen liegt bei 668 g (M lite) und 666 g (H lite) und ist damit voll im Rahmen für den Einsatzbereich CC. Ich habe die Reifen mit je 100 ml MucOff-Dichtmilch auf Hope XC-Felgen an mein Trek Top Fuel montiert. Dazu muss ich anmerken, dass ich noch nie so eine einfach Tubeless-Montage hatte, wie mit dieser Kombination! Beide Reifen saßen sofort perfekt und man bricht sich auch nicht die Finger bei der Montage. Der Vorderreifen war auf Anhieb dicht, der Hinterreifen nach der ersten Fahrt. Derzeit fahre ich bei 104 kg Eigengewicht vorn 2,1 und hinten 2,2 bar Reifendruck.

Der Scorpion am Berg

So gerüstet ging es auf die Hometrails im Taunus zur Probefahrt. Die Bedingungen bei allen Testfahrten waren, von wenigen Metern abgesehen, (leider?) durchweg trocken und ließen wenig Rückschlüsse auf den Grip bei Nässe zu.

Bei der Auffahrt auf den Hausberg, zumeist über Schotter, rollen beide Reifen sehr gut. Der H macht kaum Abrollgeräusche und auch der M ist nicht laut. Auch auf Asphalt nicht. Dafür neigt der H, mit seinen für schnelles Abrollen besonders eng stehenden Mittelstollen, auf manchem Schottergrund dazu, mit diesem ordentlich zu werfen.

Bei einem Bergauftrail mit vielen Wurzeln schmiegt sich die Karkasse sehr angenehm um die Wurzeln ohne durchzuschlagen. Die Eigenfederung der Reifen ist prima und mir so bei den anderen Reifen, die ich in dieser Größe gefahren habe, nicht bekannt. Hierfür gibt es also schon mal einen Pluspunkt!

Der Scorpion auf dem Trail

Das nächste, dicke, fette Plus gibt es für die Abfahrtsqualität! Auf einem schnellen Trail mit bis 50 km/h hielten die Pirellis prima die Spur, wo mir andere Reifen mit weicher Karkasse schon mal unpräzise ins Schwimmen kamen. Es folgte ein steiles und kurviges Stück bergab, bei dem es dann richtig zur Sache ging. Auf meist ausgesetztem rutschigen Untergrund am Hang vermittelt der M vorn eine wahnsinnige Sicherheit und zirkelt präzise durch die Spitzkehren. Auf solchen steilen Stücken neigt ein niedrig profilierter Hinterrreifen naturgemäß beim Bremsen zum blockieren. Das passiert auch dem H, aber er macht nicht abrupt zu und bricht genau so sanft aus, wie er sich wieder fängt. Auch das vermittelt Sicherheit.

Bei der heimischen Auswertung der ersten Testfahrt auf Strava war ich dann doch sehr erstaunt, dass ich meine Segment-Bestzeit auf diesem Stück deutlich verbessert und mich in die Top 10 des Segments katapultiert hatte. 20 Sekunden schneller bei einem 2 Minuten-Segment. Dabei hatte ich es nicht mal darauf angelegt. Wow! Da geht was!
Folglich führt die zweite Ausfahrt zum nächsten Hausberg auf meinen anderen Lieblingstrail. Eine flowige, mittel-schnelle Abfahrt mit etwa 200 Höhenmeter. Bei der geht es vor allem um ein präzises Brems- und Lenkverhalten. Auch hier dasselbe Ergebnis: Segment-Platz 2, nur 4 Sekunden hinter der Bestzeit, fast eine halbe Minute schneller! Ich komme wieder!

O.K. CC-Trails kann die Kombi also perfekt! Wie sieht es mit gröberem Geläuf aus? Das sollte ein Test auf dem Flowtrail am Feldberg zeigen. Auch hier zeigte sich der Reifen gutmütig und kontrollierbar, wenn auch eher Fahrer und Fahrrad hier ab und zu an ihre Grenzen stießen.

Der Scorpion in den Alpen

Vor kurzem bot sich mir die Gelegenheit, die Scorpions in den bayrischen Alpen auszuführen. Da die Alpen bekannter maßen etwas gröber sind, als unser Taunus, habe ich hierfür am Hinterrad den „R“ aufgezogen. Diesen gibt es nur in der normalen Karkasse, womit er auf 761 g kommt. Nicht leicht, aber für die Touren rund um die Rotwand im Mangfall-Gebirge war mir etwas mehr Robustheit wichtiger als das Gewicht und erwartungsgemäß konnte ich hier nochmal etwas weniger Luftdruck fahren, als mit den Lite-Reifen.

Tatsächlich merkt man den Unterschied in der Beschleunigung zum „H“, jedoch rollt auch der „R“ wirklich gut ab und ist auch auf hartem Untergrund erfreulich ruhig. Die Traktion bergauf ist dabei wirklich erstaunlich! Nach einem Regentag war ein schottrig-wurzeliger Trail mit knapp unter 10% Steigung zu bewältigen. Gar kein Problem. Kein spürbares Rutschen oder durchdrehen. Sauber!

In puncto Bremstraktion bekommt der Reifen allerdings nicht die Bestnote. Die übertragene Bremskraft ist sehr gut, jedoch neigt der Reifen nahe der Traktionsgrenze oder auch bei der Gradeausfahrt durch schlammige Passagen zum seitlichen Ausbrechen. Das war nie kritisch, aber doch etwas nervig und ist wohl auf die relativ niedrigen, aber quer stehenden Mittelstollen zurück zu führen. Die Seitenstollen arbeiten hingegen sehr gut und verlässlich in Kurven, auch bei Schlamm. Der weiterhin vorn verwendete „M“ macht hier einen besseren Job und brachte mich gewohnt zielgenau dorthin, wo ich hin steuerte, solange mich die eigene Fahrtechnik in Verbindung mit unbekanntem Untergrund nicht an oder über die Grenzen führte.

Fazit

Pirelli ist hier meiner Meinung nach ein wirklich starker Einstieg ins MTB-Reifensegment gelungen. Mit den vier Profilen lässt sich ein ziemlich weites Spektrum an Einsatzbereichen abdecken und mit den beiden Karkassen-Typen hat man selbst die Wahl, ob Gewicht oder Standfestigkeit bevorzugt.

Der „M“ hat mich als Allrounder am meisten beeindruckt. Er kann fast alles und ist ein verlässlicher Reifen auf den verschiedensten Untergründen. Der schnelle „H“ ist für echte Racer und trockene Böden sicher eine Alternative zu den bewährten Reifen in dieser Kategorie und auch der „R“ war unter dem Strich ein wirklich guter Reifen. Ich werde mit diesen Reifen je nach Untergrund durch den Winter fahren. Eventuell versuche ich den „M“ auch mal am Hinterrad…

Auf jeden Fall machen die Scorpions Lust auf mehr und das hoffentlich auch bald in weiteren Reifen- und Laufradgrößen!

Daniel Gronert - Ladengeschäft Kronberg
Ein Beitrag von: Daniel Gronert – HIBIKE Ladengeschäft Kronberg im Taunus

2 thoughts on “Vom Motocross-Bike aufs Mountainbike: Der Pirelli Scorpion im Test

    1. Hi,
      bitte entschuldige die lange Antwortzeit, leider ist dein Kommentar irgendwie durchgerutsch. Auf Nachfrage konnte mir unser Tester Daniel folgende Infos geben:

      „Von der bisherigen Nässeerfahrung kann man sagen, dass der „M“ ein sehr guter Allrounder ist und auch bei Nässe einen guten Job macht. Der „H“ ist da nicht auf seinem Gebiet und der „R“ hat sich leider als zu nervös auf nassem Geläuf bestätigt.“

      Ich hoffe das beantwortet dein Frage, wenn vielleicht auch etwas spät.

      Beste Grüße
      Luca – HIBIKE Marketing

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