Als wir Anfang März Besuch von Paul Lange, dem Deutschlandimporteur für Shimano, bekamen und uns die neue Top-Bekleidungslinie namens „S-Phyre“ vorgestellt wurde, war die Überraschung groß, denn die S-Phyre-Linie enthielt weit mehr als Schuhe für MTB und Rennrad. Bei Schuhen hatte Shimano ja schon länger „einen Fuß in der Tür“ der Hochleistungstreter, doch Bekleidung auf diesem Level war neu.
Shimano´s Motto bei der Entwicklung von S-Phyre lautete „Think. Fast.„, also durchdacht und schnell – und tatsächlich weist praktisch jedes Stück der S-Phyre-Linie interessante Details auf. Die Linie soll die beiden Topgruppen Dura Ace und XTR logisch ergänzen. Den Test der Bekleidung konnten wir relativ zeitnah durchführen. Dazu hat uns Florian bereits im März einen Bericht geschrieben.
Da die Bekleidung eher für sportlich-drahtige Typen geschnitten ist, kam ich dafür leider nicht in Frage. 😉 So war die Freude groß, als ich Ende März mein Paar S-Phyre Schuhe erhielt. Schließlich hatte ich auf der Produktschulung viele interessante Features gehört. Neuartige Fertigung und Material sollten zu einem Schuh führen, der schnell und trotz supersteifer Sohle, doch langstreckentauglich sein sollte. Gerade dieser interessierte mich sehr, denn der schwierige Spagat, eine steife und damit harte Sohle langstreckentauglich zu machen, ist genau das, was ich als schwerer Fahrer suche. Hier den richtigen Weg zu finden, der Kraftübertragung, Sohlendicke und Fahrkomfort vereint, unterscheidet meiner Meinung nach einen guten von einem sehr guten Schuh.
Varianten, Größen & Passform
Neben gut sichtbarem gelb gibt es den Schuh auch noch in einem tollen Shimano-blau und natürlich in klassischem weiß und limitiert auch in schwarz. Derzeit gibt es den Schuh, sowie sein MTB-Pendant XC9 nur in ganzen Größen von 38 bis 47. Die Größen 42-47 gibt es dabei auch in einer „E-Version“ mit breiterem Leisten. Bei der Anprobe fiel mir sofort das „normale“ Ausfallen der Schuhe auf. Musste man früher Shimano-Schuhe immer eine bis zwei Nummern größer nehmen, so passt er diesmal wie die eigentliche Schuhgröße. Die Passform des „normalen“ Schuhs ist als schmal bis normal zu bezeichnen. Der breite Schuh fällt auch wirklich breit aus.
Ich entschied mich für den Rennradschuh RC9 in der Farbe gelb. Das passt perfekt zu mir und meinem Rad!
Auspacken und die Features unter die Lupe nehmen
Der Schuh kam kurz vor meiner Abfahrt zur Flandernrundfahrt, wo auch der erste Test erfolgen sollte. Aber der Reihe nach: Erst mal genüsslich auspacken!
Zieht man den in schwarz-glänzend und schwarz-matt gehaltenen Karton, der an die Komponentenverpackungen der Top-Schaltgruppen erinnert, auf, so fallen einem natürlich zuerst einmal die Schuhe auf. Vor lauter Begeisterung sollte man aber die linke, dickere Seitenwand des Kartons nicht übersehen, denn in dieser liegen jedem Schuh farblich passende Socken und ein Keilpaar zur Anpassung der Innensohle bei.
Bei den Schuhen sieht man zuerst die ungewöhnliche Struktur des Obermaterials. Die Oberfläche sieht aus wie ein Golfball! Das soll den Schuh erstens aerodynamisch verbessern und zweitens für eine gute Durchlüftung sorgen und der Entwässerung dienen. Ansonsten ist das neu entwickelte Teijin-Avail-Material absolut dehnresistent und trotzdem geschmeidig anpassbar. Der Oberschuh ist „state-of-the-art“ in einem Stück gefertigt und natürlich nicht genäht, sondern mit sich und der Sohle verklebt. Die Geschmeidigkeit des Teijin-Avail-Synthetikleders führt übrigens dazu, dass der RC9 im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht mehr mittels Custom Fit-Backofen individuell geformt werden kann oder muss. Der Schuh passt sich mit diesem Material auch ohne diese Prozedur bestens an jeden Fuß an. Man erkennt aber auch sofort, dass die Löcher nicht willkürlich verteilt sind. Die Struktur der Löcher zusammen mit der asymmetrischen Anordnung der beiden BOA IP1-Verschlüsse sorgt mit dafür, dass der Fuß einen sicheren Halt auf der Sohle hat und sich weder bei großem Krafteinsatz im Wiegetritt, als auch bei hoher Trittfrequenz verdreht.
Durch den Einsatz von zwei unabhängigen BOA-Verschlüssen je Schuh, die sich in beide Richtungen mikrogerastert verstellen und durch Hochziehen schnell öffnen lassen, ist die Anpassbarbarkeit insbesondere während der Fahrt ideal.
Ebenfalls für die Standsicherheit sorgt die auffällige, außen liegende und weit hochgezogene Fersenkappe. In Verbindung mit den innen an der Ferse liegenden, nach unten gerichteten Fasern des Innenstoffs sorgt dieses Zusammenspiel für einen komfortablen und doch sehr guten Halt der Ferse während der Zugphase.
Ich habe aufgrund meiner schmalen Ferse bisher immer sehr auf dieses Thema geachtet und Schuhe oft danach ausgewählt, wieviel Schlupf die Ferse in der Zugphase hat. Hier hat der RC9 das mit Abstand beste System, denn es erscheint im ersten Moment so komfortabel, dass ich meinte „das hält nie“, aber es hält die Ferse absolut fixiert im Schuh und sorgt somit gleichzeitig für einen guten Aufstand des gesamten Fußes auf der Sohle.Innen- und Außensohle
Die wie das Innenmaterial des Oberschuhs mit Silvadur ausgestattete Innensohle lässt sich mittels zweier verschieden hoher Keile auf die gewünschte Höhe anpassen. Tipp: Welche Höhe einem selbst am besten passt und das Fußgewölbe optimal unterstützt, kann man einfach ausprobieren, indem man die Sohle aus dem Schuh heraus nimmt und eine einbeinige 1/3-Kniebeuge auf der Sohle stehend durchführt. Hier fühlt man ziemlich deutlich, ob die Gewölbeunterstützung zu hoch ausfällt und drückt oder ob sie zu gering ist und das Knie besonders instabil wackelt.
Das Herzstück eines jeden schnellen Schuhs ist natürlich seine Sohle. Die Sohle des RC9 besteht selbstverständlich aus Carbon. Dabei wurde auf der Innenseite zugunsten einer geringen Bauhöhe auf eine Verkleidung aus Holz oder Kunststoff verzichtet. Das sieht etwas rustikal aus, ist aber sonst in jeder Hinsicht zu begrüßen, da es keinen negativen Einfluss auf den Schuh hat.
Doch vorher müssen die Cleats natürlich noch dran. Dabei fällt sofort der aufwändige Einstellbereich auf. Man findet unzählige Markierungen, mittels derer man die Cleats exakt in der Längs-, und Querachse ausrichten und den gewünschten Fersenwinkel einstellen kann. Eine Freude für jeden Fitter!
Auf den zweiten Blick entdeckt man jeweils vor und hinter dem Gewindeeinsatz einen roten Gummipuffer. Diese lassen sich verschieden anordnen (eins davor, eins dahinter oder beide auf einer Seite) und so die Möglichkeit der Längeneinstellung um weitere 11 mm ausweiten. Mir fiel dabei auf, dass auch die mittlere Position der Gewinde etwa 4-5 mm weiter hinten liegt, als an meinen bisherigen Mavic-Schuhen. Am besten justiert man aber die Cleats sowieso anhand der Position des Fußes im Schuh (die Verbindunglinie zwischen den äußeren Zehengrundgelenken markiert den Cleatmittelpunkt) und überträgt diese nicht von seinem alten Schuh.Inklusive Socken, die perfekte Kombi
Als letztes Detail muss natürlich der Socken erwähnt werden. Der gemäß aktueller Mode recht lange Socken ist an die Form des Innenschuhs und den Auflagebereich der Haltesysteme perfekt angepasst und verteilt auch hohen Druck sehr gut.
Praxistest 1 – Flandernrundfahrt
Der erste Praxistest war gleich der Saisonhöhepunkt, nämlich die Jedermannversion der Flandernrundfahrt, hier findet ihr nochmal meinen Bericht. Eigentlich soll man ja nicht mit neuem, nicht getesteten Material in einen Saisonhöhepunkt gehen, aber bei so einem tollen Schuh macht man da doch mal eine Ausnahme… 🙂
Leider narrte mich der Wetterbericht (Regen hört um 8 Uhr auf, haha!) und verleitete mich dazu, die Überschuhe im Auto zu lassen. Das sollte sich zwar als Fehler erweisen, jedoch konnte das Wasserableitungsfeature des neuen Schuhwerks gleich mal erfolgreich auf die Probe gestellt werden. Als drei Stunden nach Start der Regen tatsächlich dauerhaft aufhörte, waren die Schuhe so ziemlich das erste Kleidungsstück an mir, was trocken war. Auch staut sich das Wasser im Schuh niemals so weit, dass es im Schuh steht und sich bei Treten durch die Zehen drückt, was ich immer als besonders widerlich empfinde. Leider sahen die neuen Schuhe mit der schicken, hellen Farbe schon bei der Jungfernfahrt ziemlich eingesaut aus und ich machte mir Sorgen um die bevorstehende Reinigungsorgie.
Im Detail:
Die Kraftübertragung ist einfach sensationell!!! Wenn man ins Pedal tritt, kommt sämtliche Kraft dort an und die Wadenmuskulatur, welche bei einer weichen Sohle den Fuß stärker unterstützen müsste, wird entlastet. Somit bekam ich trotz ständigem Auf und Ab über schlechten Asphalt und schüttelndes Kopfsteinpflaster nicht mal Krampfansätze und auch das Allgemeinbefinden des Fußes war nach der Rückkehr nach Oudenaarde sehr gut. Die sehr steife Sohle, mit dem sich sehr flächig anpassenden Obermaterial, verbindet den Fuß hier optimal und vor allem kaum merklich mit dem Pedal. Man hat ständig das Gefühl, der Schuh wäre zu weit offen, so bequem fährt er sich. Prüft man dann aber den Sitz, merkt man, wie bombenfest der Fuß im Schuh sitzt. Einziger Nachteil: Fürs Schieben ist die Sohle aufgrund ihrer Steifigkeit nicht optimal, aber dafür ist der Schuh halt auch nicht gemacht. Dafür ließ er sich überraschend schnell und einfach reinigen. Einfach mit etwas Reiniger fürs Fahrrad eingesprüht, mit Wasser abspülen und an ein paar Ecken mit der Zahnbürste ran und schon sieht der Schuh fast wie neu aus. Nur das Mesh am Vorfuß wird wohl nie wieder ganz so hell, wie im Neuzustand werden.
Mittlerweile hat der Schuh auch noch einige RTFs, das ebenfalls sehr nasse Rennen am 1. Mai, einige Vereinstrainings und etliche Touren hinter sich. Ich musste mich nur an zwei Sachen gewöhnen:
Die Sohle ist Shimano-typisch im Vorfußbereich etwas weiter durchgebogen. Das unterstützt den Fuß in seiner Pedalierbewegung, ist aber eine Umgewöhnung, wenn man vorher einen flacheren Schuh gefahren ist. Mir fiel es schon ab der zweiten Tour nicht mehr auf. Auch die Position des unteren Einhängepunktes des Boas irritiert anfänglich. Schließt man diesen Verschluss straff, so fühlt man einen Druck auf dem vierten Zehengrundgelenk. Dieser verteilt sich aber anscheinend schnell durch die Gleichmäßigkeit des Drucks oder nachrutschen der Schnürung. Zumindest habe ich das im Betrieb niemals als störend empfunden. Dazu trägt sicher auch die Socke bei, die etwas dicker ist und einen angenehmen Druck, ähnlich wie Kompressionsbekleidung, auf die Wade ausübt.
Was wiegt der S-Phyre RC9?
Laut Shimano hat das Schuhpaar 464 g bei Gr. 42. Dazu habe ich meine Küchenwaage um Meinung gefragt, in meiner 45er Größe zeigt diese 275 g beim einzelnen Schuh (macht 550 g das Paar) ohne Platte, mit Sohle.
Fazit
Wie schon nach dem ersten Einsatz ist das Fazit durchweg positiv. Shimano hat sich hier ganz an sein Motto gehalten und einen bis ins Detail durchdachten, sauschnellen Schuh auf den Markt gebracht, der trotz seines üppigen Preises sein Geld wert ist. Gegenüber den Vorgängern hat er dazu auch noch an Gewicht verloren und spielt auch hier in einer Liga mit seinen Wettbewerbern.
Seine Stärken sind aber die Kraftübertragung mit außergewöhnlichem Tragekomfort. Das Zusammenspiel aus Oberschuh und Sohle funktioniert außergewöhnlich gut. Da kommt kein anderer Schuh, den ich bisher probiert habe, dran. Alle Ziele, die Shimano in der Beschreibung des Schuhs formuliert hatte, wurden aus meiner Sicht erreicht und ich kann den Schuh wirklich jedem empfehlen, der ihn sich leisten kann und will. Er eignet sich für Tourer, Racer und Langstrecken-Fahrer gleichermaßen. Einen echten Nachteil habe ich bisher nicht finden können.
Ich freue mich auf viele weitere Kilometer mit meinen Shimano S-Phyre RC9!