Paris-Roubaix 2016

Selbsterfahrung in der Hölle des Nordens oder Biken mit dem Presslufthammer – die Paris-Roubaix-Challenge 2016

Paris-Roubaix 2016 - Hinterlassenschaften des ersten Weltkriegs

Paris-Roubaix 2016 – Hinterlassenschaften des ersten Weltkriegs

Zum zweiten Mal ging es für mich bereits zur Jedermann-Version des Kopfsteinklassikers Paris-Roubaix. Einen Tag vor den Profis bietet sich jedermann die Möglichkeit, die Strecke dieses seit 1896 ausgetragenen Rennens, welche die Beinamen „Königin der Klassiker“ und „Die Hölle des Nordens“ trägt im Rahmen einer Radtouristik selbst zu erfahren. Die Hölle des Nordens bezieht sich dabei übrigens nicht auf die definitiv auch höllischen Kopsteinpflasterpassagen, sondern auf die Tatsache, dass man sich während des Rennens über die mit dem Blut getränkten Schlachtfelder des ersten Weltkriegs bewegt. Hier fand vor allem in den Jahren 1916-1918 der menschenverschleißende Stellungskrieg statt und man sieht an vielen Ecken noch Hinterlassenschaften dieser Epoche. Mit diesem Wissen im Kopf und der Tatsache, dass die stark landwirtschaftlich genutzte, ziemlich flache Gegend im äußersten Norden Frankreichs an der belgischen Grenze nicht gerade als sehenswert bezeichnet werden kann, bleibt nur ein Grund, warum man sich Urlaub nimmt, um gerade hier Rad zu fahren: Der Mythos Paris-Roubaix. Nicht erst mit dem Sieg unseres Local-Hero John Degenkolb im letzten Jahr wurden hier Legenden geschrieben, denn das Rennen bietet aufgrund der Tücken des Untergrunds und des Wetters besondere Bedingungen, die man sonst so nirgends findet. Die berüchtigten Kopsteinpflasterpassagen (französisch Pavé), welche großteils Heerstraßen aus napoleonischer Zeit sind, stellen Mensch und Material vor eine besondere Herausforderung. Nicht umsonst sieht man im Profi-Peloton bei keinem anderen Rennen soviel Spezialmaterial an Rädern, Laufrädern und Detaillösungen.

Die Vorbereitungen – mein Material

Paris-Roubaix 2016 - Treuer Begleitter: Specialized Crux

Paris-Roubaix 2016 – Treuer Begleitter: Specialized Crux

Für mich ging es dieses Jahr mit dem Crosser und 28er Specialized-Roubaix-Pro Reifen übers Pavé. Der Reifen macht seinem Namen alle Ehre und verfügt neben einem erhöhten Pannenschutz auch über eine intelligent gestaltete Lauffläche mit einem glatten Streifen in der Mitte für gutes Rollen und einer Außenfläche mit einem Negativprofil, welches Staub und/oder Matsch gut aufnimmt. Nachdem ich im Vorjahr gute Erfahrungen mit der 25er Tublessversion dieses Reifens auf meinem regulären Renner gemacht hatte, sollte es dieses Jahr dank des breiteren Reifens im Crosser noch besser gehen und der feine Carbon-Renner auch geschont werden. Die Alu-Version des Specialized Crux ist da doch härter im Nehmen. Beim Lenkerband setzte ich auf 3,2 mm Lizard Skins, bei dem ich am Oberlenker noch einen Extra-Streifen quer gelegt und unterwickelt hatte. Die Elite-Flaschenhalter hatten sich schon im Vorjahr als höchst zuverlässig erwiesen und machten auch dieses Jahr einen guten Job. So vorbereitet ging es auf die Strecke.

Die Profis fahren bei einer Gesamtrennlänge von um die 250 km etwa 50 km davon auf Pavés. Den Jedermännern bietet sich am Vortag die Möglichkeit, die gleiche Menge Kopfsteinpflaster zu befahren, jedoch mit Start in Busigny rund 80 km Anfahrtsstrecke einzusparen. Die für uns attraktivste Version war die 145 km lange Strecke mit Start und Ziel im Velodrom in Roubaix, welche logistisch einfacher ist und immerhin noch 35 km Pavé bietet. Mehr als genug für einen durchschnittlich trainierten Hobby-Fahrer.

Los geht’s – „Geschwindigkeit stabilisiert“

Paris-Roubaix 2016 - Daniel Gronert

Paris-Roubaix 2016 – Daniel Gronert

Am Samstag um 9 Uhr ging es nach nervenaufreibender Parkplatzsuche endlich auf die Strecke. Bei kühlen 4 Grad aber zum Glück im Vergleich zum Vorjahr trockenem Wetter (es hatte nur am Vorabend geregnet) ging es bei leichtem Gegenwind in eine gut aus allen Nationalitäten gemischten Gruppe für etwa 50 km gen Südwesten auf gut fahrbaren Nebensträßchen. Das Ziel war der Einstieg in den berühmt-berüchtigten Wald von Arenberg. Dieser Sektor ist der erste Kopsteinpflasterabschnitt auf unserer Strecke und wartet auch gleich mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad von 5 Sternen auf. Zu der Sterneeinteilung der Pavés muss man wissen, dass diese Sterne als Kombination aus der technischen Schwierigkeit des Untergrunds, der Möglichkeit auf den Randstreifen auszuweichen und der Länge des jeweiligen Abschnitts gilt. In Arenberg stehen als gleich mal 5 Sterne an und schon bei der Anfahrt am Waldrand entlang steigen Vorfreude und Respekt gleichermaßen. Mit dem Selbstbewußtsein vom letzten Jahr, als wir ziemlich souverän bei Regen und Sturm über die letzten Pavés teilweise driftend donnerten, ging es diesmal mit mehr Schwung hinein in den ersten Abschnitt, denn nirgends gilt der Spruch „Geschwindigkeit stabilisiert“ mehr, als wenn man mit schmalen Reifen über Kopsteinpflaster donnert, denn während man bei hoher Geschwindigkeit (die Profis fahren in Arenberg teils mit über 60 km/h!) mit wenig Berührung praktisch über die Steine fliegt, springt man bei niedrigen Geschwindigkeiten von Stein zu Stein. Dadurch wird man immer langsamer und die gewünschte Spur ist kaum zu halten, da sowohl Vorder- als auch Hinterrad ordentlich versetzen.

Also ging es mit viel Schwung um die Kurve und schon nach wenigen Metern versickerte das gesammelte Selbstbewußtsein zwischen den zahlreichen Ritzen der Pflastersteine. Arenberg ist einfach übel! Im Idealfall fährt man eine Kopsteinpflasterpassage immer mittig auf dem am wenigsten löchrigen und am ehesten gerade Teil. Das Problem an Arenberg ist, dass es dort keine wirklich Mitte gibt und auch die ziemlich löchrig ist. Gerade liegende Steine sucht man ebenso vergebens und die Lage im sumpfigen Waldgebiet und der Regen des Vorabends haben für glitschige Oberfläche gesorgt und so sinkt die Geschwindigkeit schnell unter 20 km/h. Im Kopf laufen Horrorszenarien von spitternden Knochen und aufgespiesten Körpern auf der Streckenbegrenzung ab, während ich versuche, die Geschwindigkeit irgendwie wieder hoch zu bekommen, doch ein schneller Antritt ist auf diesem Untergrund einfach nicht möglich. Gegen Ende des 2,4 km langen Abschnitts läuft es etwas besser. Trotzdem bin ich sehr erleichtert, als das Licht am Ende des Baumtunnels immer größer wird.

Fahren mit einem „virtuellen Presslufthammer“

Paris-Roubaix 2016 - Daniel Gronert

Paris-Roubaix 2016 – Daniel Gronert

Nach Arenberg geht es nach kurzem Asphaltstück direkt weiter mit dem im Vergleich erholsamen 3-Sterne-Stück Wallers à Hélemes, bevor dann mit dem 4-Sterne-Sektor Hornaing à Wandignies das mit 3,7 km längste Stück des Tages folgt. Nach zwei weiteren Sektoren folgt dann die Verpflegung, auf der man Hände und Beine schon mal durchschütteln kann und auch bekannte Gesichter aus Deutschland trifft. 75 km haben wir hier schon hinter uns und das Fahren mit einem virtuellen Presslufthammer am Lenker macht sich schon in Händen, Unterarmen und Schultern bemerkbar. John Degenkolb hat letztes Jahr in einem Interview vor dem Rennen das Fahren über die Pavés damit verglichen, immer wieder eine Bordsteinkante hoch zu donnern. Was ich damals für eine Übertreibung zur Steigerung des Helden-Epos Paris-Roubaix hielt, hat sich als die reine Wahrheit heraus gestellt. Weiter geht es über Pavés mit klangvollen Namen und drei oder vier Sternen.

Paris-Roubaix 2016 - Daniel Gronert

Paris-Roubaix 2016 – Daniel Gronert

Spätestens beim Pavé 10 (es wird absteigend in Richtung Ziel gezählt), dem Mons-en-Pévéle, welcher teilweise ansteigend und nun leider auch wieder mit etwas Gegenwind über 3 km läuft, zieht es mir ordentlich den Stecker. Alles schmerzt, die Beine sind leer und so kommt der Gedanken, einfach abzubiegen und zurück zu rollen in den Kopf. Letztes Jahr war das doch irgendwie einfacher, oder? Doch die Blöße will ich mir nicht geben und so kämpfe ich mich gegen Wind und Steine bis zur letzten Verpflegung in Temleuve. Mit Waffeln, Orangen und Gels gestärkt kehren die Lebensgeister langsam zurück und ich erinner mich an die Schlussphase des Vorjahres, wo nach dem einfach 2-Sterne Pavé Nummer 7 die folgenden Pavés 6 und 5 mit tollem Flow vergingen. Pavé 7 – letztes Jahr flüchteten wir hier vor dem Sturm und sind wohl ohne viel Wahrnehmung durchgerutscht – erweist sich trotz lediglich 700 m nochmal als echter Knochenbrecher, aber die beiden folgenden Pavés gehen tatsächlich gut und auch mein Lieblingssektor Camphin-en-Pévéle (1,8 km, 4 Sterne) geht wieder richtig gut und in neuer Rekordzeit.

Paris-Roubaix 2016 - Kopfsteinpflaster Carrefour de l´Arbre

Paris-Roubaix 2016 – Kopfsteinpflaster Carrefour de l´Arbre

Nun heißt es nochmal alle Kräfte sammeln, denn es folgt der mystische Scharfrichter Carrefour de l´Arbre! Dieser anfangs kurvige Sektor mit 5 Sternen über 2,1 km ist häufig der entscheidungsbringde Sektor im Profirennen und der Renndirektor hatte verlauten lassen, dass es hier wohl keinen gerade Stein gibt. Vor diesem Stück hatte ich nach einem ungewollten Abstieg im Vorjahr einen änhlichen Respekt wie vor Arenberg. Diesmal läuft es erstaunlich gut. Zwar zeigen sich vor dem Vorderrad immer wieder Horrorszenarien wie zur Rasiermesser-Kante hochgestellte Steinformationen und tiefe Löcher, doch diesmal umkurve ich sie souverän und auch das letzte, leicht ansteigende Stück mit böigem Gegenwind kann mich nicht davon abhalten, diese letzte Herausforderung zu bezwingen. Die beiden noch folgenden Sektoren sind zwar auch nicht ganz so ohne, wie man aufgrund der 3 und 2 Sterne-Bewertung meinen würde, jedoch nach den bisherigen Anforderungen keine echte Herausforderung mehr. So werden im letzten Sektor noch schnell ein paar Autos (!) überholt, bevor es zurück gen Roubaix zur triumphalen Einfahrt ins Veoldrome geht. Während die Profis hier natürlich den Vorteil der gesperrten Straßen haben, kämpfen wir uns erst mal wenig triumphal durch den Verkehr, bevor es dann nach 145 km endlich erreicht ist – das Velodrome Jean Stablinski. Jedes Jahr werden hier neue Helden gemacht, allerdings erst sonntags. Trotzdem ist das Gefühl, es geschafft zu haben schon bei der Einfahrt in die altehrwürdige Betonbahn erhebend und jeder ist sein ganz persönlicher Held.

Paris-Roubaix 2016 - John DegenkolbHeldenhaft geht es weiter im Tagesablauf, denn es steht die rituelle Reinigung in den berühmten Duschekabinen an. Moderne Duschen sehen sicher anders aus, aber nicht nur die Plaketten der Sieger einer jeden Austragung in den Kabinen tragen den besonderen Mythos dieses Rennens. Sauber wird man nebenbei auch noch.

 

Ein Highlight des Renn-Jahres!

Bis auf den obligatorischen Platten auf dem Radweg in Saint-Amand-les-Eaux durch Glas bei einem Mitfahrer hat das Material gehalten. Zwar wäre ich mit 32er Reifen noch glücklicher gewesen, aber auch die mit wenig Druck (4,5 bar bei 98 kg) gefahrenen 28er haben einen guten Job gemacht und das Lized Skins-Lenkerband in Verbindung mit den Specialized „Grail“-Handschuhe haben dafür gesorgt, dass die Unterarme nicht ganz so taub wie im letzten Jahr sind. Beim obligatorischen Besuch des Profirennens am Sonntag ist sogar wieder Klatschen möglich, was definitiv nicht selbstverständlich ist und so sehen wir bei sonnigen 20° noch eines der spannensten Rennen der letzten Jahre live am Carrefoure de l´Arbre, bevor wir knapp vier Stunden später wieder in der Heimat sind.

Wie im letzten Jahr ist die Paris-Roubaix-Challenge mit allem drumherum ein schwer zu toppendes Highlight im Jahr gewesen, dass ich jedem nur empfehlen kann, denn wer nicht einmal dort übers Pflaster gerumpelt ist, kann sich die spezielle Art dieses Klassikers nicht vorstellen.

Daniel Gronert - Ladengeschäft Kronberg
Ein Beitrag von: Daniel Gronert – HIBIKE Ladengeschäft Kronberg im Taunus

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